Donnerstag, 27. Januar 2011

Schönschrift, Handschrift ... who cares?

Kennt noch jemand diese Schönschrifthefte, in die wir als Schreibanfänger unsere ersten unsicheren Schriftbuchstaben kritzelten? In der DDR gab es die jedenfalls. Sie bestanden aus vorgedruckten Zeilen mit kräftigen Begrenzungslinien oben und unten, sowie einer gestrichelten Hilfslinie in der Mitte der Zeile, wenn ich mich recht erinnere.
Über die dicken Linien hatten die Buchstaben nicht herauszuragen, und an der Strichellinie sollten sich die obere und untere Hälfte der Buchstaben orientieren (naja, eigentlich war auch die Mittellinie eine strikte Begrenzung).

Der Sinn bei der Geschichte war, uns eine Technik beizubringen die flüssiges Schreiben ermöglicht (die Buchstaben haben Ansätze und Endungen, an denen der folgende Buchstabe wiederum Anschluss finden kann), und es einem fremden Leser ermöglicht, den ganzen Salat auch später wieder entziffern zu können.
Prinzipiell also die Vermittlung eines Kulturtechnik-Standarts.

Die Erfolge beim Erlernen dieser Kulturtechnik spiegelten sich dann in der "Schönschrift"-Note im Zeugnis wider. Manche waren gut darin (vor allem die Mädchen), manche haderten bis zum Ende mit diesem Fach (ich zum Beispiel). Irgendwann war diese Phase aber beendet (ich glaube, in der dritten Klasse), und von nun an wurde vorausgesetzt, dass der Schüler sich relativ zügig schriftlich so ausdrücken kann, dass der Lehrer den zu Worten geronnenen Output seines Schützlings auch ohne dessen Assistenz beurteilen kann.

Eine win-win-Situation für alle Beteiligten, wenn sozusagen wenigstens Mindeststandarts verinnerlicht wurden. Nun kennt jeder seine individuelle Handschrift, und weiß, dass diese doch ziemlich von der Schönschriftnorm abweicht. Wer sich nicht erinnern kann wie das eigentlich mal gedacht war, kann sich hier mal angucken was ihm irgendwann mal beigebracht wurde. Was blieb zeigt eventuell das hier:
Nun erfuhr ich vor Kurzem, dass den Kids mittlerweile nicht mehr die Schönschrift abverlangt wird, sondern, dass sie sich anfangs in Druckbuchstaben ausdrücken sollen, damit es lesbar bleibt. Auch ist unser obligatorischer Füllfederhalter nicht mehr vorgeschrieben, der Kugelschreiber oder Fineliner tut es auch. Ich versuche das auch mal:
Okay, es hat etwas länger gedauert, sieht etwas ungelenk aus, und ich habe mich zweimal verschrieben (zu sehr gewohnheitsmäßige Schreibschrift). Prinzipiell ist das aber nicht der Untergang des Abendlandes, da es trotzdem recht flüssig vonstatten ging und immernoch lesbar sein sollte.

1:0 für die Vereinfacher.

Nun habe ich  bei Kewil gelesen, dass Baden-Württemberg eine "einfachere Schreibschrift" einführen möchte. Das ist natürlich ein Abschleifen von Standarts. Beim ersten Lesen drängte sich mir zumindest der Verdacht auf, dass diese Vereinfachung in eine logische Reihe mit z.B. der Diskussion über das Für und Wider von Diktaten an Grundschulen gehört.
Es wird in letzter Zeit einfach dauernd an "der Bildung" rumgefrickelt, um dem anscheinend niedrigeren Niveau der heutigen Schüler gerecht werden zu können. Man vergibt keine Noten mehr um die Kleinen nicht zu sehr unter Stress zu setzen, man verkleinert Leistungshürden um möglichst vielen "nicht  die Zukunft zu verbauen" und betreibt jede Menge Kosmetik um der ganz einfachen Erkenntnis aus dem Wege zu gehen, dass halt naturgemäß nicht alle Schüler totale Superleister sind. Dazu kommt noch die Tatsache, dass "die Kleinen" heutzutage geringere motorische Fähigkeiten mitbringen als unsereins dazumal.

Da ich weiß, dass wir auch keine Göttersprösslinge waren, stellt sich schon die Frage, ob an den heutigen Nachwuchs eine Art Morlock-Standart angelegt werden muss. Sind die heutzutage völlig unfähig? Ich glaube das nicht.

Sowohl meine Mutter (Diplompädagogin), als auch meine Schwiegermutter arbeiten seit Jahren in Kindergärten und berichten übereinstimmend, dass die Kleinen heutzutage weniger leistungs- und lernfähig sind. Konzentrationsfähigkeit, Körperbeherrschung, Sozialkompetenzen sind in vielen Fällen komplett nicht vorhanden.
Ich kritisiere das und finde es unmöglich, dass unsere Bildungspolitik gerne irgendwelchen ungesunden Tendenzen hinterherrennt und Standarts abschleift, um "alle mitnehmen zu können". Dieses bürokratische Einebnen von bestehenden Unterschieden hilft letztendlich niemandem. Ein Depp bleibt ein Depp, auch wenn er ein gutes (sozial-gerecht angepasstes) Zeugnis bekommt, aber alle Gutleister werden durch die Reduktion der Standarts in einen Topf mit den Minderleistern geworfen. Das ist ungerecht!

Nur gehört das Anpassen der Schönschriftstandarts meiner Ansicht nach nicht dazu. Im Gegenteil, ich denke, dass eine vereinfachte Schreibschrift, wie auch eine Zulassung von "geschriebener Druckschrift", unnötigen Leistungsstress rausnimmt. Später interessiert Schönschrift eh niemanden ... Hauptsache, man kann flüssig und lesbar schreiben. Nur das ist wichtig!

Nuja, meine Meinung. Andere?

P.S. Ich habe kein Interesse an graphologischen Gutachten, danke. Calimero

4 Kommentare:

  1. Man geht heute davon aus, dass jedes Kind etwa am Ende der vierten Klasse eine eigene Schrift entwickelt hat, die nur noch wenig Ähnlichkeit mit der hat, die es in der ersten Klasse gelernt hat.
    Um den Kindern auf dem Weg dort hin möglichst wenig Steine in den Weg zu legen, gibt es für Grundschuldidaktiker schon immer die Überlegung, wie die Ausgangsschrift aussehen sollte. Ich habe noch mit der "lateinischen Ausgangsschrift" angefangen, später gab es dann die "vereinfachte Ausgangsschrift". Da die Handschrift gesellschaftlich immer unbedeutender geworden ist (das meiste wird heutzutage eingetippt), fängt man mittlerweile mit der Druckschrift an und lehrt die verbundene Schrift eher nebenbei.
    Da ist es natürlich sinnvoll, wenn man sich mal Gedanken macht, wie die Buchstaben ausehen sollen, damit sie möglichst flüssig geschrieben werden können.
    Was in Baden,Württemberg passiert, ist also völlig normal und hat mit "wir richten uns beim Lehren an den Deppen aus" nichts zu tun.
    JKatins

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  2. Ungefähr das wollte ich mit meinem Artikel auch ausdrücken. Auch als Sütterlin nicht mehr gelehrt wurde hat die schriftliche Ausdrucksfähigkeit darunter nicht gelitten. Der Untergang des Abendlandes manifestiert sich nicht in vereinfachter Schreibschrift.

    Beste Grüße, Calimero

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  3. Standard, nicht Standart.

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  4. "Standard, nicht Standart."

    Völlig richtig. Das wurde mir auch gleich nach der Veröffentlichung angekreidet.
    Als ich den Fehler ändern wollte, musste ich dann aber feststellen, dass ich ihn genau neun mal gemacht habe.
    So hab ichs nun stehen lassen, damit ich mich in Scham immer daran erinnern möge und es mir nie wieder passiert. :-/

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