Samstag, 15. Januar 2011

Des Angstverkäufers gespaltenes Verhältnis zur Realität

Der nächste Dienstag ist bei mir als TV-Tag vorgemerkt. Das heißt, ich habe die nötigen Aufzeichnungsdaten schon programmiert, damit ich beim späteren Ansehen die ganz schlimmen Stellen einfach auslassen kann.

Um was gehts? Sat1 surft die grüne Angstwelle und macht einen Themenabend Kernkraft. Mit viel Gelaber rundherum und dem TV-Event "Restrisiko" als Höhepunkt wird dem Zuschauer dabei wahrscheinlich ganz brachial eingebleut werden, dass Kernkraftwerke extrem gefährlich und ihre Betreiber allesamt finstere Gestalten sind.
Den Trailer zum Film hätte ich garnicht sehen müssen um das zu wissen. Zufällig bin ich aber gerade darüber auf dieses Event aufmerksam geworden. Und ich sehe natürlich: Sorgenvolle Gesichter; ein Boss, dem Profit vor Sicherheit geht; eine einsame Heldin (späte Konvertitin, wie spannend!) gegen das Establishment, sogar von Profikillern ist die Rede - und dann BUMM! Panik, Action.

Nun komme ich ja selbst aus der Branche (Großkraftwerke, aber nicht nuklear) und kann solche filmischen Aufbereitungen, wie auch die allgegenwärtige Hysterie in den Medien wenn es um Kraftwerke geht sehr gut einordnen.

Kurz und knapp gesagt: Die spinnen sich was aus. Allesamt. Denn Routine ist ein schlechter Darsteller.

Wessen eigene Branche schonmal von den Emotionsmischern der labernden Zunft beleuchtet wurde, wird es nachvollziehen können. Journalisten und Filmemacher haben meist von nichts eine Ahnung, möchten aber zu allem eine Meinung haben oder wenigstens etwas Spannendes anbieten können.
Das ist ihnen nicht vorzuwerfen, denn sie machen lediglich ihren Job. Naja, und dass sie nicht sehr weit über das Niveau eines interessierten Laien hinauskommen mag ihnen auch verziehen sein, ... aber gegen verzerrende Propaganda habe ich wirklich was.
Und da ich weiß wie sie meine Branche darstellen bin ich mir auch hundertprozentig sicher, dass sie woanders, wenn sie auch ideologisch mit Scheuklappen versehen agieren, nichts Besseres zustande bringen werden. Skepsis ist also angebracht.

Dabei können sie es eigentlich. Also technische Prozesse, oder echte Arbeit darstellen. Allerdings nur soweit, wie sie es selbst optisch wahrnehmen können.

Man muss sich nur mal die Filmchen aus der Sendung mit der Maus angucken, wenn gezeigt wird wie z.B. Erdnussflips oder Holzbleistifte hergestellt werden. Alles ist sichtbar ("normalerweise kann man das nicht sehen, aber wir durften mal in die Maschine reingucken. Im Zeitraffer erkennt man deutlich, dass..."), alles ist nachvollziehbar. Wenn mal irgendwas nicht genau erklärt werden kann, geht man dabei gern mit einem Augenzwinkern darüber hinweg.
Wenn da z.B. in irgendeine Teig-Knetvorrichtung reingefilmt wird, schlurft garantiert alsbald ein hygienebemützter Mitarbeiter mit einem Eimer heran und schaufelt irgendein Pulver, oder eine Pampe in den Trog. Der Produktionsleiter murmelt dann was von einer "geheimen Gewürzmischung" und alle sinds zufrieden. Komisch, dass sowas durchgeht. Geheime Zutaten in Lebensmitteln? Normalerweise müsste der Investigativjournalist da aber mal ganz kritisch nachfragen. Tut er aber nicht, weil alles so schön übersichtlich ist. Da kommt ein bissl Geheimnis gerade recht.

Und in der Erwachsenenversion? Ich weiß nicht, wer sich z.B. auf Dmax mal die diversen Arbeits-Dokusoaps angeschaut hat. Da werden Krabbenfangkörbe aus dem Eismeer gezogen, oder halb überflutete Wälder abgeholzt. Die Arbeitsabläufe sind eigentlich primitiv, aber man kann mit den Komponenten Zeitdruck, Wetter, Arbeiterpsychologie und Gewinnaussichten schon was Spannendes draus drechseln.

Tja, Kraftwerke (oder auch Raffinerien, Chemiewerke und dergleichen) bieten weder das Eine, noch das Andere. Ein komplett eingehauster und isolierter Prozess ist halt nicht so schön darstellbar, abgesehen davon, dass er in Teilen auch nicht vorstellbar ist, wenn man die nötigen Grundkenntnisse nicht hat. Na ja, und unvorhersehbare äußere Einflüsse sind auch relativ selten, das also kein rechter Spannungsbogen entstehen mag. Pech für den journalistischen Beobachter, er kriegt keine Bilder.

Pech aber auch für den beobachteten Betreiber. Da technische Großanlagen nunmal unübersehbar in der Landschaft stehen ist natürlich ein Interesse da, was denn da so passiert. Aber die durchaus gern eingeladenen Berichterstatter kriegen halt nichts Aufregendes vor die Linse oder in ihre Notizblöcke. Da brummt halt nur was Technisches vor sich hin, in das man kaum reingucken kann, und die Mannschaft glänzt lediglich durch routinierte Handlungen. Eigentlich ziemlich langweilig das Ganze, wenn man selbst kein Kraftwerker ist.

Kein Stress, keine Panik, und auch keine Geheimniskrämerei. Verdammt, da muss man halt etwas aufpeppen, oder sich im Zweifelsfalle mit fundierter Zweidrittel-Halbbildung was ausdenken. Ein Ergebnis dieses Schaffens wird es darum wohl auch wieder am Dienstag zu besichtigen geben.

Obwohl wissend, 'dass es die Sau grausen wird', werde ich es mir antun und darüber von meiner Warte aus berichten.Vorausgesetzt natürlich, dass die Langweiler aus dem E-Werk schön routiniert ihrem Job nachgehen und ich mir die Phantasiewelt der Sat1-ler per Knopfdruck in die Stube holen kann. ;-)


P.S. Übrigens wissen die Kollegen aus Hollywood Kraftwerksanlagen durchaus sehr zu schätzen. Es gibt jede Menge Filme, in denen Actionszenen ganz eindeutig im Kraftwerk gedreht wurden. Der Insider erkennt dabei ganz charakteristische Kraftwerkskomponenten, während der Kinogänger lediglich weiß, dass der Held sich gerade durch eine "stillgelegte Industrieanlage" kämpft.

2 Kommentare:

  1. Lieber Calimero,
    1. vielen Dank, dass du deine Ergüsse jetzt regelmäßig veröffentlichst
    und 2. vielen Dank, dass du dir in meinem Interesse das Grauen antust über Kernkraftberichterstattung zu berichten. Ich lese dann doch lieber Berichte wie den deinen, als mir alle verbliebenen Haare vor dem Fernseher auszureißen. Ich bin schon gespannt auf das Ergebnis.

    Viele Grüße,
    Frode

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  2. Danke lieber Frode :-)

    Ehrlich gesagt ist mir schon ein wenig bange, weil ich mich öffentlich aufs Podest gestellt habe und nun auch "liefern muss".
    Ich muss es mir jetzt wohl oder übel antun, obwohl ich nicht den Anflug von Lust drauf verspüre und momentan zeitmäßig auch verdammt gut ausgelastet bin.

    Nuja, schaun mer mal.

    Beste Grüße, Calimero

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