Sonntag, 6. Februar 2011

Grüner Stöhnen (*)

Ich gestehe: Ja, auch ich bin Utopist. Also jedenfalls hält Utopia.de mich für einen der ihren, und bedenkt mich regelmäßig mit Newslettern.
Wer Utopia nicht kennt, der hat nichts verpasst … oder eventuell doch? Je nach persönlichem Standpunkt ist das Portal vielleicht eine Offenbarung oder ein Quell zyklischer Belustigung. Bei mir ist es letzteres, und das kam so:

Vor ein paar Jahren wurden die ersten Exemplare der sogenannten LOHAS entdeckt und von interessierten Medienschaffenden als neue Bewegung gehyped. Naja, und was so eine richtige Bewegung braucht ist natürlich ein Kristallisationspunkt, ein Sammelbecken.
Und so ward alsbald Utopia geboren, die Plattform für „den strategischen Konsum“.
Unprätenziöser könnte man es auch so ausdrücken: Ein schwarzes Brett für grünen Sektenbedarf und Kleinanzeigen.

Der handelsübliche Utopist, also nicht so Karteileichen wie meine Wenigkeit, ist überzeugt davon, dass er mit Gleichgesinnten zusammen eine ökologogisch korrekte Welt durch seine Konsumentscheidungen erkaufen kann. Man sieht sich selbst als gebildet, visionär, reflektierend und durchaus besserverdienend an. Der LOHAS-Jünger ist nicht tumbe Masse oder revolutionärer Asket, sondern intelligente Elite – die hedonistische Speerspitze Gaias sozusagen.
Dabei soll der Spaß natürlich(!) nicht zu kurz kommen und der strategische Konsument sich in seiner ganzheitlich-nachhaltigen Welt wohl und überlegen fühlen.

Weil der Utopist nun kein leicht beeinflussbarer Depp ist, lässt er sich nicht einfach etwas aufschwatzen, sondern er informiert sich gründlich und berät sich mit Gleichgesinnten bevor er eine Kaufentscheidung trifft. Man kann sich das, übertragen, in etwa so vorstellen, dass ein Online-Shop mit „Splittern vom echten Kreuz“ eher links liegengelassen wird, und man dann doch eher zum Shop mit den Rosenkränzen, „geschnitzt aus Holz vom echten Kreuz“ tendiert, denn so ein Rosenkranz hat, als Schmuckgegenstand für alle Gelegenheiten, einfach einen ungleich höheren Gebrauchswert – er sieht halt schicker aus. Das Holz selbst wird natürlich nicht angezweifelt.

In der realen LOHAS-Welt wird man dahingehend zum Beispiel so angekumpelt: "Hey, wir wissen ja alle, dass das iPhone unser liebstes Spielzeug ist … aber ist es denn auch sicher? Wir testen seine Handystrahlung! Und außerdem gibt’s 10 tolle grüne Apps zum runterladen!"
Öhm … ja dann.

Naja, also in diese Welt der grünen Fair-Trade-Konsumenten bin ich jedenfalls über einen Link im alten Ökologismus-Blog gestoßen, als ich einen unglaublich hanebüchenen (also „visionären“) Beitrag zu dezentraler Energieversorgung kommentieren wollte, und dies leider nur als registriertes Mitglied tun konnte. So wurde ich also Utopist.
Und das war ich in dem Augenblick wirklich, denn ich hing damals noch der Utopie an, dass man Öko-Gläubige mit vernünftigen Argumenten zum Nachdenken bringen könne. Dass dies vergeblich ist, wurde mir von den Utopisten dann aber relativ schnell klargemacht.

Auf jeden Fall blieb ich aus Faulheit im Utopia-Mailverteiler und werde daher wahrscheinlich immer noch als einer von 50000 Utopisten zur „starken Konsumentengemeinde“ gezählt. Wer weiß, wie groß der harte Kern derer wirklich ist, die sich gegenseitig ihre Konsumentscheidungen rechtfertigen. Ich könnte mir vorstellen, dass es auf Dauer langweilig wird, wenn es immer irgendjemanden gibt, der etwas noch ökologischeres gefunden hat und deinen Kram nicht mehr so ganz toll findet. Denn alles kaufen kann auch der überzeugteste LOHA(S) nicht, und irgendwer hat halt immer „’nen Grüneren“.

In letzter Zeit mache ich mir aber zunehmend Sorgen um die fortschrittliche Konsumentenplattform. Nicht nur, dass ich Ende letzten Jahres um eine Spende angebettelt wurde, weil ich ja schon so lange von Utopia profitiert(?) hätte, und man ja weiter erfolgreich wachsen will. Nein, ich habe mir mal die bisher noch ungelöschten Newsletter zusammengesucht und auf Obskures hin abgeklopft.

Zunächst mal taucht dauernd der Name Rene Obermann darin auf. „Hoher Besuch bei Utopia: Rene Obermann zu Gast …“, oder: „Rene Obermann stellt sich den Fragen der Utopisten“, „Telekom-Chef Rene Obermann bei der Utopia-Konferenz …“ bla, laber, sülz.
Also entweder hat der Mann den Schuss nicht gehört und denkt, dass er da viele gutbetuchte potentielle Kunden anspricht, oder er war unnötigerweise auf iPhone-Werbetour. Vielleicht ist aber auch nur sein PR-Berater eine Vollpfeife und merkt nicht, dass sein Schützling der einzige DAX-relevante Wirtschaftvertreter ist, der sich da zum Horst macht.
Aber sei’s drum, ist ja seine Zeit, die er da verschwendet. Lustig fand ich aber das unterwürfige „Hoher Besuch“ – und das bei den stolzen Weltverbesserern mit dem mächtigen Geldbeutel. Lol. :-D

Bedenklich ist nun, dass man anscheinend mittlerweile von den ehernen Grundsätzen Utopias abrückt, ohne das überhaupt noch weiter zu kommentieren. In den „Geboten“ der Eiferertruppe erklärt man nämlich eindeutig, dass man nicht mit Unternehmen zusammenarbeiten wird, die (Zitat) in folgenden Märkten aktiv sind:

Atomenergie
Biozide
Chlororganische Massenproduktion
Gentechnik
Pornografie
Rüstung
Tabak

Okay, warum aber soll ich mir zu Weihnachten was Gutes gönnen mit den (uiuiui!) Produkten der Firma F*** for Forest? Ich habe nun nicht die geringste Ahnung, was einen Öko-Porno von einem herkömmlichen unterscheidet und will es auch gar nicht genau wissen. Aber ein bissl rumspekulieren tut man da zwangsläufig. 

Sind die naturbelassenen Darsteller fair gehandelt? Sind die Kameras solarbetrieben? Wird das Spielzeug von volljährigen kleinkreditlerischen Frauen in unterentwickelten Ländern handgedrechselt? Werden mit traditionellem Werkzeug und aus nachwachsenden Rohstoffen (kein Tropenholz!) kleinodige Unikate für das Gewerbe der grünen Entspannung gefertigt? (Hat jemand weitere Ideen?)

Na, auf jeden Fall muss es was grundsätzlich ökologisch wertvolles sein, was Utopia dazu bringt die grünen Ruckelfilmer zu bewerben, denn (weiteres Zitat):

„Utopia will seine Ziele nicht erreichen durch falsche Kompromisse mit Unternehmen/Greenwashing“

Greenwashing geht also gar nicht. Ob Rene Obermann eigentlich davon weiß? Hm.

Tja, aber völlig absurd wird es im selben „sexy Weihnachtsgeschenkideen-Newsletter“. Da wird der ökostrategischen Konsumentin nämlich ein Solarvibrator offeriert, der schon nach 5 Stunden Sonnenlicht wieder für 2 Stunden volle Power bringen soll. Aber falls sie ihn, aus verständlichen Gründen, nicht aufs Fensterbrett legen möchte, wird ihr nahegelegt ihn doch mit künstlichem Licht aufzuladen. Ähm....!? Ja.

Ob man das Teil jetzt nur kaufen darf wenn man einen Ökostrom-Anbieter hat, oder ob das auch mit „herkömmlichem Strom“ geht, wird dabei offen gelassen. Ich finde ja, dass die „aufgeklärte Verbraucherin“ da ganz schön allein gelassen wird in ihrem Konflikt zwischen Gewissen und Genießenwollen. Gar nicht so einfach für die Utopistin.

(*) Der Titel ist, wie bestimmt schon vermutet, für Google optimiert. ;-)

1 Kommentar:

  1. Rene Obermann will auch die Frauenquote bei der Telekom durchsetzen, also wundert mich das nicht.

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