Okay, ich habe Canettis "Masse und Macht" gelesen. Ich glaube ihm ja auch, dass die Deutschen im Wald irgendwas Mystisches sehen. Der Wald als deutsches Nationalsymbol ... ist ja alles okay, aber müssen die auch immer so dermaßen übertreiben, die Deutschen???
Kurz nach dem Stuttgarter "Bäumchen wechsel dich" drehen die Berliner Kulturschaffenden frei. Zur diesjährigen Berlinale lassen sie sich einen "Holy Wood"-Schriftzug in den Tiergarten stellen und wollen somit die Waldgötter ehren und irgendwie Geld für neue Straßenbäume sammeln.
Is ja auch egal. Den Bonsai-Hollywood-Schriftzug finde ich ja auch ganz witzig. Eigentlich eine schöne Werbeaktion für ein Filmfestival das sich seinen Glamour immer irgendwie zusammenkratzen muss. Aber ich habe halt nicht nur die diversen (übrigens fast immer gleichlautenden) Zeitungsmeldungen zum temporären Berliner Waldheiligtum durchforstet(!), sondern auch unlängst einen der Verantwortlichen dafür im Radio gehört.
Ganz nebenbei, ich habe den rbb-Link auch deshalb ausgewählt, weil der Chef vons Janze, der Dieter Kosslick, mich in der Anzugsordnung irgendwie an den "Roten Platz", oder den "Palast der Republik" erinnert hat (von der Handstellung mal ganz zu schweigen).
Na jedenfalls hat dieser Radio-Interviewte da Sachen von sich gegeben, die ich irgendwie spontan in die Achziger des letzten Jahrhunderts eingeordnet hätte. Da war von "Zeichen setzen" die Rede, von Klimawandel, vom "Freund dem Baum" (sinngemäß), der "Heiligkeit des Waldes", der Magie und vom Waldsterben (echt? das gibts noch???) ... und überhaupt sei ja alles ganz schrecklich, weil die Natur "vergiftet würde" und bla, bla, - weiter im Text.
Nach den fünf Minuten seiner Rede troff mir jedenfalls fast das Baumharz aus den Ohren (für die Baumanbeter wahrscheinlich auch so eine Art "Tränen der Muttergottes"). Nach dem ganzen unerträglichen Ökogeschwurbel musste ich jedenfalls sofort mal Google-Earth anwerfen und mir angucken, ob mich meine Sinne denn echt so trügen können. Ich bin ja ab und zu in der Umgegend unterwegs, und Berlin darf ich seit 1989 auch besuchen ... also wo sollte diese triste, sterbende, vergiftete Einöde denn nun sein, vor welcher der Kulturmensch da so ausgiebig schwafelte?
Tja, hab nix gefunden. Selbst Berlin ist in der Draufsicht recht grün und das Umland kann man getrost als "waldig" beschreiben.
Liebe Kulturfunktionäre: Wenn ihr erstmal die Mauer (es gibt nur noch die in euren Köpfen) überwunden habt, dann steht ihr ganz schnell mitten unter euren geliebten Bäumen. Die sind auch garantiert echt und ihr könnt euch an ihnen reiben, sie streicheln, sie liebhaben und eventuell auch anbeten. Da haben die gar kein Problem damit, die Bäume. Die haben bestimmt schon Schlimmeres erlebt als durchgeknallte Kulturträger.
Macht mal. Fahrt in den Fläming. Und wenn ihr vorher noch Zeit finden solltet, dann lest mal diese hervorragende Kolumne von Harald Martenstein. Vielleicht fällt euch dann auf, dass ihr in allem euren Tun irgendwie ein bissl übers Ziel hinausschiesst.
Aus Menschenperspektive gesehen macht ihr euch rundum lächerlich. Aber ihr könnt ja den Brandenburger Bäumen mal erzählen, was ihr so alles für sie tut. Die haben dafür bestimmt etwas knorzige Zustimmung übrig. Nur, eine Warnung sei noch gegeben. Fahrt bloß nicht zu weit! Ein paar Kilometer weiter südlich gibt es schon naturbelassene Wölfe.
Obwohl: "Psst!" Ich habe gehört, dass die Viecher sogar heilige Bäume anpinkeln sollen. Vielleicht solltet ihr da doch mal vor Ort "Gesicht zeigen". ;-)
P.S. Ich weiß nicht, ob ihr euch darüber im Klaren seid ... aber irgendwie hat eure Waldverehrung schon was "Völkisches". Ich zumindest finde das beunruhigend.
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