Montag, 21. November 2011

Gerade noch mal gut gegangen

Jetzt muss ich Herrn Schäuble nach der Kritik des letzten Artikels schon wieder in Schutz nehmen. Er hat sich nämlich durchgesetzt. Irgendwie im Interesse seines Landes, gegen eine europäische Politinstitution. Wow!

Er hat das hinbekommen, weil er bei der demokratisch nicht legitimierten Bürokraten-Auffanganstalt EU-Kommission durchsetzen konnte, dass ein Gesetz des nur halbabsurd semidemokratischen EU-Parlaments nicht angewandt wird. Hä?

Ja nun ... ehrlich gesagt habe ich mich in der letzten Zeit nicht ein einziges Mal gefragt, was denn das EU-Parlament zur Überwindung des europäischen Verschuldungsdesasters beitragen würde. In meiner Wahrnehmung beschränkt sich dieser Laden auf Silvana Koch-Mehrins Eskapaden, auf den blasenquatschenden Unsympathen Martin Schulz (der Kapo), und vor allem auf den unterhaltsamen Nigel Farage, der den Europaratspräsidenten Herman van Rompuy schon mal einen nassen Lappen nennt.

Heute klärt mich Welt online allerdings darüber auf, dass das EU-Parlament doch eine stabilisierende Maßnahme beschlossen hat. Sein bisher einziger Output dazu.
Das Europarlament ist stolz auf den verschärften Stabilitätspakt, die erste Maßnahme in der Euro-Krise, die sein Schoß gebar und nicht einer der Gipfel der Regierungschefs.
So, und wie soll dieser Pakt nun aussehen?

Wenn ein EU-Land einen zu hohen Leistungsbilanzüberschuss zu verzeichnen hat, soll es Strafen zahlen.
Wie bitte? Es sind doch gerade die letzten Länder mit solchen Überschüssen, die noch halbwegs Vertrauen am Finanzmarkt genießen, also genau die, an deren Triple-A Rating der bisher ausgebrütete Rettungs-Unsinn hängt. Warum das denn?
Die Maßnahmen sollen Ungleichgewichte in der Wirtschaftskraft mildern, so die Idee hinter dem Gesetzestext, den das Europaparlament beschlossen und den sein Präsident Jerzy Buzek am Mittwoch dieser Woche unterzeichnet hat. Deutschland soll seinen Wohlstand nicht mit dem Export von Waren erwirtschaften, für den andere Länder sich verschulden müssen, um ihn sich leisten zu können.
Äh ... ja, klar. Deutschland macht sich satt, indem es seine Nachbarn dazu zwingt sich zu verschulden. Böses D! Dafür sollst du zahlen! Wie übrigens auch Luxemburg, Finnland und die Niederlande. Ihr seid unsozial, ungerecht und verdient am Elend anderer. Parasiten!

Anders ausgedrückt klammert sich eine Horde Ertrinkender an die letzten Schwimmer, die sich noch mittels Schwimmflügeln über Wasser halten können. Aber weil das ungerecht ist, sollen sie daraus noch etwas Luft ablassen (wahrscheinlich in die Lungen der umgebenden panischen Wassertreter), damit sich auf diese Weise die Chancen aller verbessern.

Ob es jetzt ein so doll tragfähiges Geschäftsmodell ist, seine Exporte via Kreditvergabe quasi selbst zu bezahlen, lasse ich mal dahingestellt. Es geht hier trotzdem um bestehende Leistungsfähigkeit, die das EU-Parlament bestrafen möchte. Und dagegen hat sich Schäuble nun erfolgreich gewehrt.

Er hat sich dazu an die Kommission gewandt, also an den anscheinend einzig relevanten Player auf europäischer Ebene ... und schon ist die Sache aus der Welt. Bezeichnend, oder?

Bezeichnend ist auch, dass ich Schäuble und Kommission schon lobend erwähnen muss, wenn sie nur etwas tun, dass mal nicht total unsinnig ist. Gestern noch irritierte mich Schäuble mit seinem Ruf nach einer "neuen Ordnung", und belustigte mich die Kommission mit ihrem Verbot Wasser mit seiner dehydrierungsverhindernden Wirkung zu bewerben, wie sie mich schon früher mit ihrer merkwürdigen Art der Bürgerbeteiligung aufregte.

Heute darf ich erfahren, dass die europäische Verwaltungstätigkeit wieder teurer wird, und ich frage mich ernsthaft wofür man diesen ganzen Zirkus eigentlich braucht.
Nun steht der Buchstabe des Gesetzes gegen eine Erklärung der Kommission, der Exekutive des vereinten Europa. Was hat mehr Gewicht? Diese Frage stellt Buzek ungewöhnlich deutlich. "Die Kommission sollte keine Erklärungen abgeben, die als Einschränkung der Umsetzung ... interpretiert werden könnten", erklärte er im Plenum. Eine scharfe Rüge.
(Miss-)Management by Basar? Wofür sind diese ganzen Politiker-ABM eigentlich gut, wenn ihr einziger Vorteil darin besteht, dass sich auch mal Zwangskoalitionen der einen, gegen Schwachsinn der anderen durchsetzen können?

Braucht die irgendwer, außer sie sich selbst?

8 Kommentare:

  1. ESM=Exekutive sucht Macht
    Von mir gibt es da keinen Beifall.
    Es sind genau diese Ungleichgewichte innerhalb des Euro die ganz wesentlich zu Krise beitragen und nivelliert werden müssen, weil es keine Landeswährungen mehr gibt die dann auf-oder abgewertet werden.
    Deutschland hat gezeigt was seine nationalen Interessen sind. Stratfor hat recht.
    Ein schwarzer Tag für die europäische Demokratie und den Parlamentarismus.

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  2. Lieber Erling Plaethe,

    mal davon abgesehen, dass ich den ESM auch entschieden ablehne, verstehe ich nicht wieso sie eine innereuropäische Nivellierung mittels Strafzahlungen für Leistungsfähigkeit gutheißen.

    Wenn ich ihren Kommentar hier, und einige andere in ZkZ richtig interpretiere, sind sie der Ansicht, dass Deutschland vom Weicheuro profitiert hat, und deshalb den früheren Schwachwährungsländern Kompensationszahlungen schuldet. Ist das so richtig zusammengefasst?

    Unser Überschuss ist euer Defizit, weshalb wir natürlich das Defizit zu verantworten haben und in Anbetracht der deutschen Geschichte selbstverständlich in der Verantwortung stehen, diese Schieflage mit einem verordneten Handicap auszugleichen? Das vereinte Europa wird also stärker, indem es seine (noch) potentesten Mitglieder bewusst schwächt?

    Sie sagen ja selbst, dass es keine nationalen Währungen mehr gibt, die diesen gewünschten Ausgleich von selbst schaffen würden - also warum nicht lieber zurück zum natürlichen Selbstreinigungsmechanismus, statt vorwärts in die Niveauretardierung?

    In einer globalisierten Welt wartet niemand auf ein sich selbst behinderndes Gesamteuropa.

    Beste Grüße, Calimero

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  3. Lieber Calimero,
    Natürlich wäre es das Beste zu den nationalen Währungen zurückzukehren.
    Wie überhaupt vieles rückgängig gemacht werden sollte, bis eine europäische Freihandelszone übrig bleibt.
    Ob das im nationalen deutschen Interesse wäre, was nicht das Interesse der deutschen Bürger sein muss, bezweifle ich.
    Weil aber die Exekutive in Europa so dreist und aggressiv auftritt, ist demokratische Gegenwehr von nöten. Diese muss durch die nationalen Parlamente erfolgen, aber da wir es nicht nur mit nationalen Exekutiven zu tun haben, sondern auch mit einer europäischen, sollte eben auch ein starkes und kompetentes Europäisches Parlament im Interesse der Bürger der EU sein, wie ich meine.
    Trotz einer um 300 Milliarden höheren Neuverschuldung zahlt Deutschland weniger Zinsen für die Schulden des Bundes als vorher.
    Ja, ich bin der Ansicht dass Deutschland vom Weicheuro profitiert und nein, Deutschland schuldet dafür niemandem Kompensationszahlungen.
    Aber unser Überschuss ist das Defizit der anderen, und beides sind unser aller Probleme, weil wir nun einmal diese gemeinsame Währung haben.
    Wir können im Falle unseres Exportüberschusses nicht so tun als hätten wir noch die D-Mark. Letztendlich werden unsere offenen Rechnungen dann eben einfach nicht bezahlt. Wie war das doch so schön?
    Eine Staatsinsolvenz ist nicht eine Zahlungsunfähigkeit sondern eine Zahlungsunwilligkeit!
    Genauso ignorant ist es, unsere Neuverschuldung höher ansetzen als im Vorjahr.
    Und für Michael Stürmer ist die deutsche Frage wieder da.

    "In einer globalisierten Welt wartet niemand auf ein sich selbst behinderndes Gesamteuropa."
    Wie wahr!

    Viele Grüße Erling Plaethe

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  4. Lieber Erling Plaethe,

    Rayson hat an dieser Stelle ja schon einiges zum Thema gesagt, und wie meist schließe ich mich da seinen Ausführungen an.

    Zwei Sachen möchte ich aber noch anmerken. Sie sagen, dass Deutschland vom Weicheuro profitiert. Das ist aber so nicht richtig, denn eigentlich sollte kein Land ein Interesse an einer Schwachwährung haben (Geldinflation frisst Wohlstand, Importe sind teuer, Akzeptanz als Handelswährung sinkt). Simbabwe ist eben kein leuchtendes Beispiel!

    Wer hier temporär profitiert ist ausschließlich die Exportwirtschaft. Auf lange Sicht senkt eine Schwachwährung aber auch deren Innovationskraft, weil man sich halt weniger anstrengen muss. Das kann mal böse zum Bumerang werden.

    In Zeiten der starken D-Mark war Deutschland aber auch Exportweltmeister, weil Made in Germany sich halt über Qualität definierte.
    Momentan ist der Welthandel aber zugegebenermaßen etwas verzerrt, weil sich alle Papierwährungen einen Abwertungswettlauf leisten, und vor allem China durch seine Billigwaren die Nachteile einer schwachen europäischen Eigenwährung kaschiert.

    Worauf ich hinaus will ist, dass die meisten Menschen in Deutschland unter der Inflationierung der europäischen Blechwährung leiden und gerade keine Vorteile davon haben. Wenn Deutschland aber Strafzahlungen wegen seines Handelsbilanzüberschusses leisten müsste (es profitiert ja angeblich), dann würden wieder alle damit belastet. Also noch zusätzlich zu den Nachteilen der Weichwährung.

    Der zweite Kritikpunkt betrifft ihre Enttäuschung darüber, dass das gewählte EU-Parlament hier von der demokratisch nicht legitimierten Exekutive übergangen wurde. Politiktheoretisch stimme ich ihnen da absolut zu, aber in der Praxis ist das EU-Parlament eben keine echte Volksvertretung. Schon die Stimmengewichtung spricht dagegen, aber auch, dass es von Wählern und Politik als relativ irrelevant angesehen wird. Für deutsche Politiker ist es ja z.B. so eine Art Abladeplatz, ein gut bezahlter Gnadenhof.

    Außerdem, aber das ist meine persönliche Meinung, spreche ich ihm den Anspruch darauf eine wirkliche Volkvertretung sein zu wollen, rundweg ab, da es eben kein europäisches Volk gibt.

    Beste Grüße, Calimero

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  5. Lieber Calimero,

    Um mal eines vorauszuschicken; ich schätze Ihre Ansichten sehr, genau wie die von Rayson.
    Der Euro ist ja so schwach nicht. Nur ist er für eine Exportnation wie Deutschland zu schwach und für die Defizitländer zu stark. Vielleicht sogar viel stärker zu stark als für Deutschland zu schwach.
    Es ging bei Schäubles m.E. fragwürdiger Intervention lediglich um ein Limit dass das Parlament setzen wollte und worüber es ja schon ein Einvernehmen gab. Ich kann nicht erkennen warum es nicht auch ein positives Limit geben soll wenn auch ein negatives geplant ist und Einigkeit darüber herrscht dass angeglichen werden muss. Griechenland oder Portugal werden auf lange Sicht keine Exportnationen werden.

    Ihre Ansicht was das Europäische Parlament anbelangt kann ich ohne weiteres teilen.
    Nur tue ich das nicht mehr, seit der ESM droht und ich das Gefühl nicht los werde, dass die Demokratie bei den Euro-Eliten eine untergeordnete Rolle spielt. Was oder wen wollen sie denn dieser Exekutive entgegensetzen wenn nicht ein Parlament ?

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  6. Lieber Erling Plaethe,

    mit ihrer Frage "Was oder wen wollen sie denn dieser Exekutive entgegensetzen wenn nicht ein Parlament ?" treffen sie genau den Punkt.

    Ich bin nämlich der Ansicht, dass eben diese Exekutive nebst ihrem kompletten Verwaltungsapparat ersatzlos aufgelöst, und in die jeweiligen Heimatländer zurückgeschickt werden sollte.
    Das gleiche gilt aber auch für das europäische Operettenparlament.

    Mir persönlich reicht eine europäische Freihandelszone ohne zentralistische Bestrebungen völlig aus. Gern auch mit weitergehenden bi- oder multilateralen Verträgen zu noch engerer Zusammenarbeit.

    Aber dieser planwirtschaftliche Bürokratenmoloch widert mich mit jedem Eingriffsversuch und jeder von nationalen Regierungen zu exekutierenden "Direktive" mehr an.

    Merkel hat ja auch aus der kalten, sogar weitgehend grundlos, ein "Atom-Moratorium" ausgerufen. Darauf Bezug nehmend sage ich mal locker-flockig und nicht unbedingt sooo bierernst gemeint:

    "Politikwende jetzt! EU abschalten!"

    Beste Grüße, Calimero

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  7. Wenn sich Arbeitnehmer gegenseitig die Jobs wegnehmen, weil einer den anderen im Lohn unterbietet, dann sind damit zwar manche erfolgreich, weil sie überhaupt eine Arbeit ergattert haben, aber die gesamte Lohnsumme sinkt auf Kosten der Gewinne der Arbeitgeber.

    In Deutschland haben die Arbeiter seit 10 Jahren keine Lohnsteigerung mehr gesehen und die unteren Lohngruppen haben sogar 20% eingebüßt: http://www.sueddeutsche.de/karriere/studie-zu-lohnentwicklung-weniger-netto-vom-brutto-fuer-durchschnittsverdiener-1.1122177

    natürlich konnte man damit Arbeit vom EU-Ausland nach Deutschland holen und die ehemalige Importnation (Deutschland hatte in den 90ern einen Importüberschuß und erst ab der Einführung des Euro einen Exportüberschuß: http://av.r.ftdata.co.uk/files/2010/04/OECD_Euroimbalances.jpg) wurde so zum Nettoexporteur, aber zu welchem Preis? Man hat eine Spirale nach unten losgetreten. Zuerst stagnieren bzw sinken die Löhne in Deutschland und jetzt sollen sie auch in anderen Ländern runter. Warum soll das erstrebenswert sein?

    was ist daran schlecht, Deutschland zu nötigen, wieder Importland zu werden? Entweder durch massive Lohnsteigerungen im Inland oder durch erhöhte staatliche Nachfrage == Verschuldung oder schließlich eben durch Strafzahlungen. Ok, Strafzahlungen sind natürlich nicht gut, aber was ist gegen kräftige Lohnerhöhungen einzuwenden?

    ich wundere mich im Gegenteil ja über die handzahmen Gewerkschaften. Die waren in Deutschland mal mächtig. Zu mächtig vielleicht. Aber jetzt ist das Pendel zu weit in die andere Richtung ausgeschlagen und das ist auch schlecht.

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  8. Lieber Johann Grabner,

    was die Lohn- und Gewinnentwicklung in Deutschland angeht haben sie Recht. Sehr schön aufbereitet ist das übrigens hier zu sehen.
    Zum inflationsbereinigten Pro-Kopf-Einkommen im europäischen Vergleich kann man sich aber auch mal das hier angucken.

    Sind diese 28800 € pro deutscher Nase nun zuwenig? Oder sind sie nur falsch aufgeteilt? Egal wie man das jetzt beurteilen mag stellt sich doch die Frage, ob und wie überhaupt die Politik an diesem Zustand etwas ändern soll.

    Massive Lohnsteigerungen kann die Regierung ja nunmal nicht befehlen. Das obliegt den Tarifpartnern, wobei die Gewerkschaften auch wegen der Globalisierung keine so ultrastarke Position mehr innehaben. Sie kann lediglich die von ihr beeinflussbaren Einkommen hochsetzen (Renten, Sozialleistungen, Öffentlicher Dienst), oder Mindestlöhne festschreiben.

    Das wäre schlecht.

    Oder sie könnte die Abgabenlast für Einkommensbezieher und Arbeitgeber senken, also mehr Netto vom Brutto lassen, und somit die verfügbaren Einkommen erhöhen.

    Das wäre gut, wird sie aber nicht tun (können).

    Was bleibt sonst noch, - die staatliche Nachfrage erhöhen? Womit denn? Steuern erhöhen, oder noch mehr Schulden machen? Das ist wohl auch keine so tolle Idee.

    Also zu welchem nationalstaatlichen Eingriff sollte eine europäische Institution Deutschland nötigen dürfen, oder sogar müssen? Wenn ich sie richtig interpretiere, dann sollte Deutschland ja irgendwie zu seinem Glück gezwungen werden. Ich wüsste aber echt nicht, was unsere Regierung tun könnte, das nicht wieder irgendwo Schaden anrichten würde.

    Ich hätte aber eine Idee, wie Deutschland wieder zur Importnation der 90-er werden könnte: Raus aus dieser Weichwährung, dann importiert sich's auch wieder leichter. Der Euro scheint einfach nicht zu diesem Land zu passen.

    Beste Grüße, Calimero

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