Dienstag, 25. Oktober 2011

Randnotiz: Energiestein der Weisen gefunden?

Brandenburg goes Zukunft! Windenergie wird grundlastfähig! Erstes, weltweit einzigartiges Hybridkraftwerk ging heute in Betrieb!

Wow! Da hat wohl endlich einer den Stein der Weisen gefunden. Die mir das den ganzen Tag verkündigenden Radiomenschen hatten direkt ein erfürchtiges Vibrato in der Stimme, aber was ist daran nun eigentlich neu und substantiell?

Ich hatte vor Kurzem das Vergnügen dem Chef Public Affairs der Betreiberfirma in einer kuschligen Diskussionsrunde auf den Zahn fühlen zu können, als er uns die Vision der grundlastfähigen Windkraft näher erläutern sollte. Wir, das waren eine Handvoll Leute aus der Energieversorgungsbranche und ein paar Vertreter stromintensiver Industrien, die in den Genuss einer Projektvorstellung des Hybridkraftwerks kamen, wie sie sonst wahrscheinlich Medienvertretern, Politikern und potentiellen Investoren zuteil wird.

Wir sollten überzeugt werden und waren auch durchaus gespannt.

Es ist ja so: Windenergie heute ist teure, parasitäre Zufallsstromerzeugung. Freude daran haben nur die Betreiber, sowie Politiker und Ökogläubige. Das Problem liegt in der Tatsache, dass Strom derzeit halt nicht in den nötigen Größenordnungen gespeichert werden kann. Dies wiederum ruft immer wieder Visionäre auf den Plan, die entweder hunderte Pumpspeicherkraftwerke in Deutschland neu errichten, oder halb Norwegen dafür überfluten wollen.
Und da kommt jetzt plötzlich die Firma Enertrag daher und offeriert uns eine smarte Lösung für das Problem? Eine, auf die anscheinend noch niemand gekommen ist, denn sonst wäre das Problem ja keines?

Der gute Mann von Enertrag (bestimmt ganz zufällig der ehemalige Wahlkampfmanager des Brandenburgischen Ministerpräsidenten Platzeck) ließ die Katze auch gleich aus dem Sack. Man setzt auf Wasserstoff!

Öhm ... ja, also die Elektrolyse ist ja nun schon ein zweihundert Jahre alter Hut, und bisher war Stand der Technik, dass das Verfahren der Wasserstoffgewinnung und -speicherung mit nachfolgender Verstromung sich selbst mit Windstrom nicht rechnen würde. (Großtechnisch wird H2 derzeit aus Erdgas (Methan) gewonnen, weil sich Elektrolyse selbst mit billigem Laufwasserstrom nicht rentiert.)

Ja, aaaber ... man hätte jetzt das Wasserstoff-Speicherproblem gelöst! Aha? Also keine energieaufwändige Gasverflüssigung mehr? Nein, man könne ja die schon vorhandenen Erdgasleitungen nutzen und dort den Wasserstoff einspeisen. Bis zu 5 Prozent Zumischung wären überhaupt kein Problem, und auch noch mehr wäre locker drin.

Okay, das klingt ja dann schonmal nach wieder nach der bekannten Biosprit-Zumischung, und nicht mehr nach grundlastfähigem Windstrom. Wenn ich meinen Kram nicht an freiwillig zahlende Kunden loswerde, speise ich ihn einfach in eine schon vorhandene Infrastruktur ein, und lasse mir das zwangsbezahlen. So ähnlich wie bei einem unzuverlässigen Wasserversorger, der seine ab und zu anfallenden Überkapazitäten in vorbeifahrenden Milchlastern verklappen möchte, weil er dir ja leider nicht die Bude überfluten darf. Hauptsache es wird bezahlt.

Dazu muss man noch sagen, dass diese Strom-Überkapazitäten ja nur anfallen, wenn dem Hybridkraftwerk der einfachste Weg, die Einspeisung ins Stromnetz, wegen Überlastung verwehrt bleibt. In einem solchen Fall bleibt die WKA nämlich sonst einfach außer Betrieb, und der Betreiber bekommt garantiert die Stromabgabe bezahlt, die er sonst hätte liefern können! So will es das Gesetz, im Irrenhaus Deutschland.

Diese Geschäftsmodell ist ja nun schon ein lohnendes, aber man kann davon ausgehen, dass die Wasserstoffproduktion nur dann angefahren werden würde, wenn der dabei erzielbare Garantiepreis noch höher als der für nicht gelieferten Windstrom ausfällt. Klingt nach einer verdammt teuren Zwangs-Gaseinspeisung.

Aber das ist ja nicht das einzige Standbein, welches man sich so vorstellt. Man setzt auch voll auf die nun endlich einsetzende Wasserstoffwirtschaft für Kraftfahrzeuge!
Gut, da forschen die Autokonzerne und die Mineralölwirtschaft nun auch schon seit etlichen Jahren dran rum, und haben bisher nur ein paar Prototypen und Stadtbusse auf die Straße gestellt. Da soll das Hybridkraftwerk jetzt also den Durchbruch ermöglichen?

Wir erinnern uns nochmal an die teure Herstellung per Wasserelektrolyse und an den Mindest-Garantiepreis ab dem es sich lohnt den ganzen Kram überhaupt in Betrieb zu nehmen. Wenn ich es noch recht in Erinnerung habe, dann wurde das Kilogramm Wasserstoff mit 11 Euro taxiert, denn hier kommt ja die teure Gasspeicherung, der man mit der Zwangsbeimischung ins Erdgasnetz aus dem Wege gehen wollte, wieder voll zum tragen. Das lohnt sich für den Privat-Kfz-Halter nun nicht wirklich, weshalb man ja hier den Fuhrpark des neuen Hauptstadtflughafens als Abnehmer im Visier hat. Als Monopolist kann der sich das leisten ... fürs grüne Gewissen und das Wohlwollen der politischen Klasse.

Aber was ist denn nun mit der großartig angekündigten Grundlastfähigkeit des Windstroms? Ich fragte direkt, ob man in Zukunft beim Hybridkraftwerk, wie bei einem herkömmlichen Stromversorger, eine definierte Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt abrufen könne. Eben wie bei einem Grundlastkraftwerk.

Augenaufschlag, Kopf wiegen ... naja, so - nein, leider nicht.

Also nicht einmal mit dem dritten Wasserstoffstandbein, der hypothetischen Beimischung ins Biogas eines zum Hybridkraftwerk gehörenden Blockheizkraftwerkes wäre eine wirkliche Grundlast zu gewährleisten. Alles nur eine Zusammenlegung von altbekannten, und zu Recht als unwirtschaftlich verworfenen Techniken. Die ebenfalls als möglich erwähnte zukünftige Gewinnung von Methan aus Wasserstoff, lasse ich mal lieber unkommentiert. Man lese nur ein paar Zeilen weiter oben, woraus Wasserstoff derzeit industriell gewonnen wird.

Die vollmundige Vorstellung wurde so zum absoluten Rohrkrepierer. Ein paar Leute mit Ahnung von der Materie konnten dem aufgeblasenen, grünen Wasserstoffballon mittels weniger Fragen sehr schnell die Luft rauslassen. Da war nix mehr, außer einer letzten Erklärung.

Na ja, man solle das doch nicht so kritisch vom heutigen Standpunkt aus bewerten. Natürlich ist das alles nicht eigentlich wirtschaftlich, aber man geht davon aus, dass die Energiepreise in Zukunft noch sehr stark ansteigen werden, und dann hätte man schon die erprobte Technik hier in Deutschland.

Zusammengefasst: Wir brauchen Förderungen (das Land Brandenburg seines ehemaligen Arbeitgebers Matthias Platzeck hat ja schon die Anlage bezuschusst), wir brauchen garantierte Abnahme zu unseren Preisen, wir brauchen fremde, schon bestehende Infrastruktur ... etc.
Und ansonsten hoffen wir einfach auf steigende Energiepreise, dann können wir auch profitabel arbeiten.

Also nix Neues unter der Sonne der "Erneuerbaren Energien". Auch keine grundlastfähige Windstromeinspeisung. Nur noch ein weiterer Subventionsjäger mit schönen neuen Prospekten.

Für Politik und Medien reicht das anscheinend. Mir nicht.


P.S. Wenn man sich den oben verlinkten Text des ZDF so ansieht - kann es sein, dass man bei den Öffi-Funkern auf dem Weg zur Einführung der "Einfachen Sprache" im Internet ist?

9 Kommentare:

  1. Lieber Calimero,

    eine Frage zum ganzen Energieirrsinn: Wenn man denn schon mit Gewalt eine "Energiewende" herbeiführen will, warum hört man so gut wie nichts über Gezeitenkraftwerke? Sollten diese nicht viel besser geeignet sein als bspw. Windenergie, da sie so zuverlässig wie der Mond sind? Warum stellt man also riesige Propeller in die Nordsee, die bei Flaute stehenbleiben, statt andere ins Meer? Damit hätte man doch eine Stromquelle, die immer verfügbar wäre!? Warum wird das kaum verfolgt?

    MfG

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  2. Lieber RexCramer,

    damit habe ich mich noch überhaupt nicht beschäftigt, weil es anscheinend nur eine immer wieder visionierte Nischentechnologie ist.

    Ich schätze mal, dass der Aufwand dafür riesig wäre, weil es eben nicht ganz ohne ist, so etwas im Meer zu installieren und zu warten. Da verändern sich vielleicht noch Strömungen usw.

    Außerdem läuft die Tide ja auch zyklisch, da braucht es vielleicht wieder Zwischenspeicher. Und dann könnte ich mir noch vorstellen, dass das Energiegefälle vor und hinter der Anlage so groß nicht ist. Das müsste man dann wahrscheinlich mit besonders großflächigen Anlagen kompensieren, die einfach den schieren Massenstrom des Tidenwassers ausnutzen können.

    Aber wie gesagt, ich kann da auch nur spekulieren.

    Beste Grüße, Calimero

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  3. Lieber Calimero,

    die Windräder müssen auch stabil auf dem Meeresgrund verankert werden. Das ist aufgrund ihrer Höhe und damit der Hebelwirkung vermutlich eher noch aufwendiger.

    Die Tide sehe ich auch nicht problematisch: Alleine zwischen Bremen und Bremerhaven liegen knapp 2 Stunden Unterschied.

    Großflächige Anlagen? Die Energie mittels Bewegung der Luft statt des Wassers "einzusammeln", dürfte zwangsläufig wesentlich schwieriger sein.

    Nischentechnologie? Das scheint mir der Punkt zu sein, der am meisten dafürspricht. Denn wenn wir uns angucken, wie der Staat die Subventionen verteilt, dann kommt man zum Ergebnis, daß umso mehr ausgegeben wird, je sinnloser das Unterfangen ist - und umgekehrt. Unsere Politiker als Indikator genommen, müßte es also vielversprechend sein. :))

    Immerhin würde man das Geld in eine Technologie stecken, die wenigstens das prinzipielle Problem der Windkraft und Solarenergie nicht hätte, daß es nachts kälter ist als draußen. ;D

    Naja, ich dachte halt, da Sie sich damit beschäftigen, Wasser zu kochen, könnte es sein, Sie hätten auch Ahnung davon, elektrischen Strom aus kaltem Wasser zu gewinnen. ;)

    MfG

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  4. Lieber RexCramer,

    meine Überlegung bezüglich "großflächiger Anlagen" geht dahin, dass man für eine hohe Energieausbeute auch einen hohen Potentialunterschied vor und hinter der Anlage braucht. Den Tidenstrom anzustauen wird aber soweit ich weiß nicht verfolgt. Also bleiben nur Systeme, die aus dem durchströmenden Wasser ein wenig Energie abzapfen. Das Wasser umgibt die "Schaufelräder" dabei, und muss vom nachströmenden Wasser erst verdrängt werden. Das heißt, dass es kein großes Druckgefälle zum Ausnutzen gibt. Dazu kommt noch der Widerstand, den das Wasser den Schaufeln entgegensetzt.

    Die Ausbeute mag dabei trotzdem vielleicht sogar größer als bei Windkraft sein, aber der Montage- und Wartungsaufwand dürfte so enorm sein, dass sich die Kiste nicht lohnt.

    Schon Offshore-WKA sind um einiges teurer bei Installation und Unterhalt als Onshore-Anlagen, aber die rotierenden Teile eines Gezeitenkraftwerks im (aggressiven Meer-) Wasser zu versenken dürfte da in ganz andere Dimensionen vorstoßen.

    Jetzt mal ein Gedankenspiel:

    Wenn ich es recht in Erinnerung habe beträgt der Höhenunterschied zwischen Ebbe und Flut in der Nordsee so ca. 6 m. Den könnte man also maximal ausnutzen, aber nur, wenn man verhindern kann, dass das Tidenwasser einfach um die Anlage herumströmt (Weg des geringsten Widerstands). Man müsste also ein Becken schaffen, dass sich bei Flut durch unser turbinenbewehrtes Nadelöhr füllt, und bei Ebbe wieder dadurch trocken fällt. Da könnte man gut Strom "ernten", aber bei der Ausnutzung von Strömungen unter Wasser bin ich skeptisch. Sowohl was die Ausbeute, als auch was den dafür nötigen Aufwand angeht.

    Beste Grüße, Calimero

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  5. Noch schlimmer. In Deutschland 2 bis 4,5m Tidenhub.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Nordsee

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  6. Eine solche "Nadelöhr Lösung" gibt es bereits seit 1967, allerdings mit einem natürlichen Becken und einer "zusätzlichen Befüllung" durch einen Fluß - das Gezeitkraftwerk Rance (http://de.wikipedia.org/wiki/Gezeitenkraftwerk_Rance) in der Bretagne. Dort gibt es allerdings 8 m Tidenhub.

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  7. Lieber Calimero,

    so eine Art Trichter hatte ich im Sinn, um mehr Druck zu "bündeln". Oder brächte das nichts? Kenne mich damit nicht aus ...

    Mag sein, daß der Aufwand enorm wäre. Aber immer noch besser, als Dächer mit Solaranlagen zuzupflastern. ;)

    MfG

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  8. Na also, Jetzt hat auch die Welt davon gehört und ist erwartungsgemäß ganz aus dem Häuschen. Ts ts.

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  9. Jo. Der im Artikel enthaltene Satz

    "Aber auch als Wärmequelle für Heizungen stünde die auf diese Art veredelte Elektrizität dann zur Verfügung."

    ließ mich aber heftig grinsen. Da erzeugt man also Strom, um damit teuer etwas herzustellen, was man anschließend verbrennen kann. Yeah!

    Aber sei es drum. Bei uns im Firmenintranet gab es kürzlich auch eine Eloge aufs Hybridkraftwerk, und irgendein, wahrscheinlich Büromensch, hyperventilierte darob "dass das toll wäre, weil wir ja auch in Zukunft bezahlbaren Strom beziehen wollen". Da fällt selbst mir nix mehr dazu ein.

    Dem Welt-Autor sei verziehen, weil er auch schon so manches Mal einiges an Durchblick erkennen lassen hat. Aber hier:

    "Doch bis vor Kurzem war niemand auf die Idee gekommen, das Verfahren als Lösung des Stromspeicherproblems in Betracht zu ziehen."

    hätte er stutzen müssen. Die Idee liegt ja wirklich nahe, seitdem es Zufallstromerzeugung gibt. Aber in Betracht gezogen hat es noch keiner, weil es sich einfach nicht rechnet. Das wirklich neue daran ist, wie schon geschrieben, ganz einfach die H2-Zwangseinspeisung ins Erdgasnetz. Alles andere sind alte Hüte.

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