Freitag, 15. Juli 2011

Demokratie-Vertreter

"Guten Morgen, ich komme vom Staat und würde ihnen gern etwas über die Demokratie erzählen."

So ungefähr stelle ich mir den von der Baden-Württembergischen Landeszentrale für politische Bildung geplanten "Bildungsüberfall" im Freiburger Stadtteil Weingarten vor. Oder so: "Ich komme vom Ministerium für Volksbildung, und habe hier interessante Informationen für sie als Staatsbürger."
Wie auch immer, - man denkt da an die Zeugen Jehovas des Staates, oder an penetrante Staubsauger- Demokratie-Vertreter. Typen jedenfalls, die man nicht früh um sechs (zuerst hieß es sogar noch früh um fünf), oder eigentlich gar nie vor seiner Haustür sehen möchte.

Warum machen die das? Können die sich nicht vorstellen, dass solch ungebetener Besuch nicht unbedingt auf Gegenliebe und freudigen Beifall treffen wird?

Vielleicht sind sie so verblendet, dass sie sich gar nicht vorstellen können, dass ihr anzupreisendes "Produkt" nicht nur lediglich mehr Haustürwerbung, sondern einfach mehr Qualität nötig hat. Denn - die Demokratie als solche wird ja wohl kaum abgelehnt, lediglich das was wir täglich unter diesem Markennamen präsentiert bekommen ist anscheinend nicht mehr dazu geeignet noch enthusiastische Fans zu gewinnen.

Darum geht es da wohl auch. Der Vorteil der Demokratie ist es, dass morgens in der Frühe kein finsterer Staatsscherge Sturm klingelt, sondern lediglich der Milchmann. So hat es, laut BZ, jedenfalls Churchill ausgedrückt.
Okay, dieses Zitat Sir Winstons kannte ich bis dato auch nicht, und den meisten Weingartenern dürfte es damit ähnlich gehen. Gewinnen die jetzt etwas, wenn ihnen ein LZpB-Beamter freudestrahlend ein "informatives Frühstückspaket" und 'ne Tüte Frischmilch überreicht? Ein Vollkornbrot mit Magerquark und Gurkenscheiben, sowie 'nen Apfel und ein Tütchen Müsli (nebst Infomaterial) höchstwahrscheinlich?

Sagen wir mal so, ich wäre an ihrer Stelle wohl nur mäßig enthusiasmiert. Selbst wenn mir der freundliche Staats-Hausierer das mit Churchill erklären würde.
Obwohl, als Freiburger wäre ich vielleicht sogar erleichtert, dass es (noch) nicht der Öko-Sheriff ist, der die ordnungsgemäße Mülltrennung und die Standby-Abschaltung kontrolliert, sowie die "Stromfresser" in der Wohnung durchzählen möchte. Davon sind sie ja nicht weit entfernt, im grün-alternativen Studentenstädtchen.

Churchill stellte sich die Anwesenheit von Demokratie also noch so vor, dass sie mit Abwesenheit von Geheimpolizisten glänzte. Fein.
Ich bin ja selbst in der Diktatur des Proletariats aufgewachsen, und kannte das so auch nicht. Bei mir (vielmehr meinen Eltern) standen nur einmal zwei Volkspolizisten auf Mopeds Marke "Schwalbe" vor der Tür, weil auf einem Feld in der Nähe, des nächtens ein LPG eigener Aufenthaltscontainer für landwirtschaftliche Werktätige dem Vandalismus zum Opfer gefallen war, dies als Zerstörung von Volkseigentum ein kapitales Verbrechen bedeutete, und irgendwelche nicht genannten Nachbarn angeblich Klein Calimero und einen Freund dort in der Nähe gesehen haben wollten. (Ich war natürlich unschuldig!)

Also diese Vorstellung des früh an die Tür wummernden Staatsbüttelkommandos, welche mir schon fremd ist, soll nun die Weingartener den Verheißungen der Demokratie in die Arme treiben.
Warum trifft es ausgerechnet die? Weil sie "eine geringe Wahlbeteiligung an den Tag legen", und sich "der Politik gegenüber distanziert verhalten", erfahren wir. Klar, da muss jetzt die Volksbildung ran, da hat der Staat wohl ein Aufklärungsdefizit.

Nur ... eben war noch von Demokratie die Rede, jetzt geht es auf einmal um Distanz zur Politik. Und das bedeutet in unserer Parteiendemokratie übersetzt, dass die Bürger dort anscheinend die Parteien nicht genug unterstützen.
Ich habe mir das hier jetzt mal angeguckt. Weingarten ist übrigens Wahlkreis 660.

Nuja, so richtig doll ist es da nicht mit der Wahlbeteiligung. Nicht mal die Hälfte der Bürger hat dort Interesse am Urnengang, aber die die wählen gehen, tun das auch nicht besonders extremistisch (na ja, 17,9% für die Linke und 10% für FDP und Grüne). Was solls? Ist doch woanders ähnlich. Jedenfalls sehe ich keinen Grund für einen Bildungsüberfall durch die staatlichen Politbildungsbeamten.

Vielleicht sind die nichtwählenden Weingartener ja immer zufrieden mit ihren jeweils fremdbestimmten Regenten? Glaube ich nicht.
Vielleicht haben sie mit ihrer Stimme nie etwas wirklich Zufriedenstellendes bewegen können? Schon eher.
Vielleicht gibt die Menükarte des Parteienangebots auch einfach nichts her, was man unbedingt wählen möchte? Wer hat schon gern die Wahl zwischen Scylla und Charybdis?

Aber vielleicht liegt es auch einfach daran?
"Weltweit ist Deutschland die einzige Demokratie, in der von den drei Staatsgewalten (Parlament, Regierung, Gerichte) keine einzige durch das Volk allein bestimmt wird. In der EU sind die Deutschen die einzigen, die noch kein nationales Referendum hatten. Die Bürger aller EU-Staaten haben bereits mehr Kompetenzen zur politischen Mitbestimmung, als die Deutschen. Dies ist ein erhebliches Defizit in unserem Staat und führt zwangsläufig zu Frust und Politikverdrossenheit."
Darüber sollte man auf der politischen Ebene mal nachdenken. Nicht nur in Freiburg und Baden-Württemberg, sondern in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Leute interessieren sich sehr für Politik, denn diese betrifft uns schließlich alle. Aber viele, wie auch ich, sehen mittlerweile keinen Sinn mehr darin, zur Wahl zu gehen um anschließend die Balkendiagramme der fünf Austauschparteien wachsen zu sehen.
Egal ob 30, 50 oder 80 Prozent Wahlbeteiligung erreicht werden, diese 5 Kartellparteien stellen Regierung und Opposition. Informell vereinigt unter dem Label der Grünen Einheitspartei Deutschlands bringen diese auch noch vor allem ihre vorher ausgeklüngelten Listenkandidaten in die Parlamente. Ja, hat man da noch eine Wahl?

Und, wenn inzwischen 80 Prozent der Gesetze vom demokratisch unlegitimierten Über-Kartell EU kommen ... hat dann die eigene Einzelstimme überhaupt noch irgend einen Wert?

Demokratie heißt ja angeblich Volksherrschaft, aber vom Volk selbst sieht man in den Parlamenten nichts. Direkt gefragt wird es auch nicht, das Volk. Die EU macht, was die Parteien-Machtkartelle vorgeben, die Regierung macht was Greenpeace und die Leitmedien wollen, selbst wenn mal die favorisierte Koalition an die Macht kommt ist nicht garantiert, dass sie auch ihre Wahlversprechen angeht ... ey, hallo?

Gibt es da nicht eventuell erst mal ein paar grundlegende Defitzite, die man beseitigen müsste um die Politikverdrossenheit auszutreiben? Bevor man auf die Idee kommt arglosen Bürgern morgens mit einem Bildungs-Frühstückspaket (und 'ner Tüte Milch) aufzulauern?

Sie kapieren es nicht!

6 Kommentare:

  1. "Ich war natürlich unschuldig!"

    Das sagen alle!

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  2. Als Strafe fürs Nichtwählen spielt der Staat Klingelmännchen? Kein Satiriker hätte sich sowas ausdenken können.

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  3. Was auch geschieht -
    nie sollt ihr so tief sinken,
    von dem Kakao, durch den man euch zieht,
    auch noch zu trinken.

    Erich Kästner

    Auch manche Milch macht müde Menschen mordlustig ;)

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  4. Ich denke, diese Schnapsidee wird nicht so toll funktionieren.

    Im übrigen gibt es aber keinen theoretischen oder praktischen Zusammenhang zwischen persönlicher Freiheit auf der einen und demokratischer Verfassung auf der anderen Seite - auch wenn Churchill das behauptet haben soll.

    Genau besehen vertragen sich Freiheit und Demokratie sogar *nicht* miteinander.

    Man kann in einer Monarchie wesentlich freier leben, wenn der Monarch Politik treibt und den Rest des menschlichen Lebens in Ruhe lässt als in einer Demokratie, die von ihrer grundsätzliche Idee her alle Lebensbereiche politisiert. Ausführlich dazu Kühnelt-Leddihn (auf englisch) bei mises.org

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  5. In der Komödie "Dave", in der ein Schauspieler den komatösen US - Präsidenten doubelt fragt dieser in der Budgetrunde: "Wir geben also Geld aus, damit die Bürger zufriedener sind mit einem Produkt, das sie bereits gekauft haben?"

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  6. Naja, ich habe schon einige Leute von meiner Schwelle geschubst

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