Der Kampf hat begonnen. Weltweit. Und Sie - Sie sind mittendrin.
Noch gar nicht mitbekommen? Ha! Sie sind doch schon längst nicht einfach mehr Friedrich Mustermann, wohnhaft in der Blumengasse 24 in Worpswede. Sie sind eine Mind Unit!
Glauben Sie nicht? Doch, glauben Sie mir ruhig. Zwei gegnerische Fraktionen sind dabei darum zu kämpfen, Sie und alles um Sie herum unter ihren Einfluss zu bekommen. In Echtzeit. Jetzt.
Sind Ihnen in der letzten Zeit vielleicht verdächtige Gestalten an belebten Orten aufgefallen? An Kirchen, Rathäusern, vielleicht an Kulturdenkmälern oder Wahrzeichen? Junge Männer, vielleicht auch Frauen, die immer wieder an denselben Orten auftauchen, irgendwelche Informationen in ihre Handys hacken, sich umsehen und hektisch wieder verschwinden?
Achten Sie mal drauf. Man erkennt sie daran, dass sie - einzeln oder in Gruppen - ihre Handys nicht am Ohr haben, sondern konzentriert draufstarren. Sie haben auch nicht unbedingt Ohrstöpsel drin, so dass man denken könnte, da scrollt jemand nur die Trackliste seines mp3-Players durch - nein, diese Typen haben manchmal sogar ein ominöses Verbindungskabel an ihrem Telefon, welches in einer Jacken- oder Umhängetasche verschwindet.
Sehr verdächtig.
Das findet auch die Polizei, die schon so manchen dieser Typen einer Kontrolle unterzogen hat. Bisher konnte man ihnen allerdings nichts nachweisen, was eine Ingewahrsamnahme gerechtfertigt hätte.
Kunststück. Ist doch noch völlig offen, wer die Guten und wer die Bösen in diesem Spiel sind.
Denn darum geht es. Es ist ein Spiel. Ich habe es nur mal schön dramatisiert. Und der Initiator dieses Spiel ist mal wieder der allwissende Internetkrake Google.
Was daran bemerkenswert ist? Zwei Dinge: Das Internet geht an die frische Luft, und, die unglaubliche Innovationskraft einer Firma, die ihre ersten Fans noch mit einer einfachen weißen Seite und einem Suchfeld gewonnen hat.
Das Spiel nennt sich Ingress (die Grundlagen hier bei Wikipedia) und wird im Wesentlichen per Handy-App gespielt. Es befindet sich derzeit noch in der closed beta, also einer hochentwickelten Vorveröffentlichung. Es ist noch gar nicht so einfach einen Zugangsschlüssel zu bekommen, weshalb die, welche ganz gierig darauf sind auch versuchen, die paar bei Google bekannten Einlader davon zu überzeugen, dass gerade sie einen Zugangscode verdienen. Da werden Fotomontagen erstellt, Ingress-Logos in Kuchenform gebacken, Fraktionskennzeichen in Sofakissen gestickt ... hier, bitte, ich, ich will auch einen Code! Guckt mal was ich da gebastelt habe!
Veröffentlicht wird die Bewerbung natürlich bei Google+, dem facebook-Konkurrenten. Es soll auch, gerüchteweise, von Vorteil sein ein Gmail-Adresse anzugeben, wenn man sich um einen Code bewirbt. Die App funktioniert (derzeit) nur auf Googles Android-System, neben Apples iPhone dem zweiten Betriebssystemriesen, und das Spielfeld, also die Grundlage des weltweiten Kampfes ist selbstverständlich Google-Maps (in einer futuristisch verdunkelten Variante).
Und so sieht das Schlachtfeld auf dem PC aus:
Zu sehen ist ein Stückchen Norddeutschland plus eines Teils von Polen. Die Metropolen Berlin und Hamburg sind hier gut zu erkennen. Blaue und grüne "Punkte" stellen Portale dar, die von der jeweiligen Fraktion gehalten und gegen feindliche Übernahme verteidigt werden. "Striche" sind Links zwischen Portalen einer Fraktion, und diese blauen und grünen Flächen sind sogenannte Control Fields. Dazu müssen drei eigene Portale miteinander verlinkt werden. Die innerhalb eines solchen Feldes lebenden Menschen werden dann als unter Schutz oder Einfluss stehende Mind Units bezeichnet und gezählt. Wie Google das berechnet ist mir schleierhaft, aber letztlich auch egal.
Das Interessante an dieser Sache ist, dass man seinen Hintern nach draußen bewegen muss. Nicht einfach vor die Haustür, sondern eben zu diesen Portalen. Auch durchaus (wenn man denn will) zu Portalen in fremden Städten. Je weiter voneinander entfernt, desto cooler sieht der Link auf der Karte aus. Und wenn man erstmal ein richtig großes Feld geschaffen hat, ist einem die Anerkennung (und der Neid der Gegner) sicher. Es gab z.B. mal ein grünes Feld (The green Mile), welches den größten Teil der Schweiz bedeckte. Und gerade gestern sah ich, dass irgendwelche verrückten Russen ein Feld von Moskau über St. Petersburg bis kurz vor Nowgorod gezogen hatten. DAS war wirklich mal ein großes Dreieck - DER Blickfang auf der Weltkarte. Allerdings auch für die eigene Fraktion nicht ohne, denn unter einem Control Field kann gar niemand mehr irgendwelche Portale verlinken.
Ja gut, es ist halt immer noch ein Spiel. Man muss nach draußen, na und?
Diese Portale sind nicht einfach über die Welt verstreuselt, sondern sie befinden sich an irgendwelchen besonderen Plätzen. Die ersten wurden mit Sicherheit von Google selbst irgendwo platziert, aber mittlerweile macht die Spielcommunity eigene Vorschläge. Man wird sozusagen dazu animiert, nach interessanten Plätzen zu suchen. Und andere Spieler werden wiederum dazu animiert, sich zu diesen Plätzen hinzubegeben. Eine tolle Kirche irgendwo abseits auf dem Lande? Ha, fahren wir doch mal hin. Die ist bestimmt nicht stark verteidigt. Im Urlaub mal weg von den Touristenorten? Da gibts doch diese zwei Portale im Hinterland, vielleicht kann man die ja verlinken.
Ich finde das großartig!
Und das Spiel bringt echte Menschen zusammen. Ein Einzelkämpfer wird nicht viel bewirken, erst in der Gruppe kann man Strategien entwickeln und Taktiken verwirklichen. So entstehen örtliche Communitys, auch fraktionsübergreifende, Stammtische, Raidgruppen, vielleicht auch sowas wie Ortsverbände, denen ein Fremder mit Portalschlüsseln weit entfernter Gebiete durchaus willkommen ist.
Auch hier: Großartig!
Und nicht zuletzt der sportliche Aspekt. Nicht nur dass der PC-Held seinen Hintern anlupfen und nach draußen gehen muss, es geht im taktischen Spiel auch darum "Energie" für seine Aktionen zu sammeln (sogenannte Exotic Matter, XM, die über die Welt verstreut herumliegt und mit dem Handy aufgesaugt werden kann) und sie damit gleichzeitig der gegnerischen Fraktion zu entziehen. Es gibt Taktiken, in denen ein Spieler sich künstlich energiearm macht, und dann anschließend mit dem Fahrrad die herumliegende XM absorbiert, während seine Kumpels voll aufgeladen ihre Aktionen durchziehen können. Vor einem nun von XM ausgehungerten Gegner.
Tja. Google bewegt. Jetzt auch physisch. Google vernetzt, hilft, vereinfacht. Mein Kalender wird selbstverständlich mit dem meiner Frau und unseren Handys synchronisiert. Diesen Blog hier schreibe ich in einer Software und unter einer URL die Google gehört, mein Handy wird von Googles Software betrieben und meine Gmail-Adresse räumt mir einfach mal 10 GB Speicherplatz ein.
Und das alles für lau.
Klar will der Netzgigant was dafür von mir haben, aber das mit Werbung berieselt werden nehme ich genauso in Kauf wie die Preisgabe der Nutzer- und Standortdaten, die Google von mir einsammeln kann. Wenn ich das nicht will, kann ich es jederzeit abschalten. Ich muss das alles nicht nutzen. All die Annehmlichkeiten könnte ich mir auch woanders zusammenstückeln oder ganz darauf verzichten. Ich muss mich auch nicht an die frische Luft begeben und irgendwelche virtuellen Portale in mir vorher fremden Örtchen hacken, ich muss keiner Community beitreten ... ich muss gar nichts.
Aber ich kann es. Kostenlos. Und wie man an diesem neuen Frischluftwettkampf um die virtuelle Weltherrschaft sehen kann, ist die Innovationskraft des Giganten aus Mountain View noch lange nicht erlahmt. Es gibt ständig was Neues, etwas so noch nicht gedachtes, aber wenn Google irgendwann mal lahmen sollte, wird sich ein Konkurrent finden, der wieder etwas noch besseres anbietet. Vielleicht für Geld, vielleicht auch für Daten, irgendeinen Deal wird man mir schon vorschlagen.
Und ich kann frei entscheiden, ob ich den Deal annehme. Denn ich bin der Kunde und damit der König für den Anbieter. Das ist das Schöne an der Marktwirtschaft, und daran sollte jeder mal denken, dem irgendwelche Politiker erzählen wollen, dass sie einen Plan haben wie sie das Leben für den "armen, hilflosen Verbraucher" verbessern können.
Ich denke, wir hätten immer noch die Wählscheibentelefone der Bundespost. Jetzt vielleicht in mehr als drei Farben und bezogen mit einer soften Umpuschelung, damit sich niemand am zwei Kilo schweren Hörer verletzt. Oder, Ilse Aigner?
Das Spam-Problem haben offenbar einige bei blogspot, auch die Oeffinger Freidenker. Ich empfehle Wordpress.
AntwortenLöschenWenn du in Zettels kleinem Zimmer diskutieren willst, dann verlinke doch dahin:
http://83273.homepagemodules.de/t5960f27-Calimeros-Rumpelkammer.html