Mein letzter Beitrag hier in CR datiert vom 27.März, seitdem war Funkstille. Teils war das ungünstigen Arbeitszeiten geschuldet, aber zum weitaus größten Teil einem Verlust, den ich zu verdauen hatte, und an dem ich immernoch zu knabbern habe. Insider werden wissen welchen
Verlust ich meine.
Diese Ankündigung hat mich getroffen wie ein Schlag, und mein nächster Artikel MUSSTE diesem Thema gewidmed sein! Aber wie da rangehen? Ein Nachruf, ein Aufruf, ein mach-weiter-wir-brauchen-dich? Nee, irgendwie doch nicht. Jeder Tag der nun ohne Artikel blieb, brachte aber neue Gedanken zum Thema hervor. An befreites Schreiben war nicht zu denken. Wie sollte ich auch einfach zur Tagesordnung zurückkehren? Einfach so einen Aspekt des täglichen Irrsinns herausgreifen und kommentieren, während da noch etwas unaufgearbeitet in meinem Hirn rotierte?
Nein, ich glaube dass ich nicht drumherum komme, mir diese Belastung von der Seele zu schreiben, bevor ich wieder in den "Normalmodus" zurückkehren kann. Wo dieser Artikel mich letztlich hinführen wird, weiß ich noch nicht. Bin selbst sehr gespannt.
Es ist schon ein paar Jahre her, dass mich zum letzten Mal ein persönlicher Hero verlassen hat. Damals war es kein Blogger, sondern ein ganz profanes TV-Gesicht. Es war noch die Zeit der Videorekorder, und der einzige Grund, warum ich einen solchen brauchte, war Harald Schmidt mit seiner täglichen Late night Show auf Sat1.
Als Schichtarbeiter hat man ja keinen geregelten TV-Rhythmus. Man kann entweder einfach so die Glotze anmachen und gucken, was für einen Schrott einem die Fernsehgewaltigen denn zu welcher Einschaltzeit so zu bieten haben, oder aber man guckt selektiv.
Selektiv bedeutet aber Vorbereitung. Videorekorder programmieren, Bänder vorbereiten, den Sat-Receiver auf dem richtigen Programm eingeschaltet lassen, wenn man nicht zu Hause ist. Eventuell noch abklären, dass die Freundin zu der Zeit nicht etwas anderes sehen, oder aufnehmen möchte. Es war schon ein wenig aufwendig, aber der Lohn war eine tägliche Stunde Fernsehunterhaltung, wann immer ich es wollte. Mehr brauchte ich nicht, denn ich hatte ja Bücher und Zeitschriften, das Radio und ein bissl Internet mit ISDN-Anschluss (zu 1 ct/min).
Aber ein Leben ganz ohne HS hätte ich mir zu der Zeit nicht vorstellen können.
Schmidt hat sieben Jahre durchgehalten.
Ich bin eigentlich ein sehr kritischer Konsument, aber wenn ich von einer Sache überzeugt bin, dann bleibe ich treu dabei und verzeihe auch Schwächephasen. Nur wenn ich treu dabei bin, erwerbe ich mir damit auch ein Recht auf immerwährende Unterhaltung? Konstant erwartbare Befriedigung meines Bedürnisses nach Input?
Nein, man vergisst sehr schnell dass hinter der Mattscheibe oder dem Monitor jemand sitzt, der für uns nicht sichtbar weitaus mehr Anstrengungen in sein Produkt investiert, als man dem Konzentrat, welches dem Enduser präsentiert wird, ansieht.
Da brennt vielleicht jemand wie eine Kerze von zwei Seiten ab. Wofür? Für Geld? Sicherlich spornt es an, zwingt zur versprochenen Leistung. Aber selbst Schmidt hat seine gutbezahlte Show an den Nagel gehängt. Für Aufmerksamkeit? Natürlich. Wer was zu sagen hat, will auch gehört werden. Und Aufmerksamkeit ist eine sehr wirksame Droge.
Das ist es wohl, was Blogger (wenigstens ein bisschen) antreibt. Natürlich ist es auch befriedigend, wenn man sich seine früheren Artikel ansieht und damit immer noch zufrieden sein kann, aber die Aufmerksamkeit über den eigenen engsten Dunstkreis hinaus ist es, die einen zum Weitermachen verpflichtet.
Wenn nun ein Hobby-Blogger mit seinen Artikelchen keine Bücher verkaufen will, kein Interesse an weiterführender Medienpräsenz hat und kein Geld für sein Engagement bekommt ... wie lange rechtfertigt die Aufmerksamkeit der wohlgesonnenen Leser den Raubbau am eigenen Privatleben?
Kewil hat kurz vor Zettels Rückzug ins Unpolitische das Ende seiner Fakten und Fiktionen bekanntgegeben. Auch einer, der für seinen Blog brannte. Mir ist immer noch unbegreiflich, wie dieser geniale Polterer wider den polit-medialen Mainswamp seinen Output auf so konstant hohem Niveau halten konnte. Jeden Tag drei, oder vier Artikel zu veröffentlichen, und dabei auch den Zorn aufrecht erhalten, obwohl man nichts ändert. Auch ihn werde ich vermissen.
Kewil hat sechs Jahre durchgehalten.
Aber am meisten wird mir Zettel fehlen. Der politische Zettel natürlich, denn er selbst ist ja nicht weg. Auch hat er ein, wie ich finde, hervorragendes Autorenteam zusammengestellt, welches ihn in Zukunft vertreten wird. Nur, kann man Zettel wirklich ersetzen?
Ich kam zu ZR, nachdem ich schon eine Weile lesend in der politischen Blogosphäre unterwegs war. Bei den meisten Blogs die ich gut und interessant fand, stand auch Zettels Raum in der Blogroll. Strategisch geschickt platziert meist an alphabetisch letzter Stelle. Der Blick am Ende eines Artikels geht ja nach dem Abschluss-Satz irgendwie noch kurz suchend nach links und rechts. Und da stand dann halt immer Zettels Raum. Also lag es nahe, dort auch mal reinzuschnuppern. Und, ich wurde nicht enttäuscht.
Keine Ahnung, welchen Artikel ich zuerst las, und wann das nun genau war - aber ich wurde zum täglichen Stammleser. Mein erster Beitrag im kleinen Zimmer erfolgte noch
per E-Mail, zum Phänomen des DDR-Lochs, denn ich hatte ein wenig Hemmungen mich in diesem elaboriert parlierenden Mikrokosmos des Herrn Professors anzumelden. Irgendwann tat ich es aber doch, und habe bisher 1385 Beiträge unterschiedlicher Qualität dort hinterlassen. Auch das ein Verdienst Zettels, der niemals einen "Standesunterschied" spüren ließ, sondern immer interessiert an Äußerungen jedes seiner Kommentatoren war. Man musste nicht promoviert, oder wenigstens mit Abitur gesegnet sein - wer was zu sagen hatte und sich höflich benam, konnte sich getrost an Zettels Lagerfeuer niederlassen.
Und ein Lagerfeuer ist es,
das kleine Zimmer. Kein Stammtisch und auch kein Klassenzimmer, obwohl ... zu lernen gab es eine Menge. Nicht nur Politisches, Wissenschaftliches, Kulturelles und Philosophisches, auch so manche Lateinerfloskel musste ich erst googeln, und einiges an meinem englischen Sprachverständnis hat sich in den vergangenen Jahren auch verbessert.
Was für mich wohl aber am Prägendsten war, ist der Stil des Diskurses. Dieses respektvolle und höfliche Miteinander ist ganz speziell zettelesk und hat sich, so glaube ich, doch auch in meine privaten Umgangsformen eingeschlichen.
Wenn ich das Forum als Lagerfeuer ansehe, so ist Zettels Raum eher als Leuchtturm zu bezeichnen. Lagerfeuer gibt es in unterschiedlicher Qualität ja viele. Man guckt mal vorbei, lässt sich auch mal nieder, geht weiter, oder kehrt wieder zurück. Aber ein Leuchtturm weist einem den Weg.
Das mag jetzt pathetisch klingen, aber ZR war und ist für mich auf jeden Fall ein Wegweiser. Ohne Zettel hätte es den Blogger Calimero nie gegeben. Und so auch niemals das Motto meiner kleinen Rumpelkammer (die ihren Namen durchaus auch der Anlehnung an
Zettels Raum verdankt) -
"Ein Raum für freie Rede und Gedanken, mittendrin im Irrenhaus".
Denn sowas brauchen wir. Wir, die wir uns nicht von den bezahlten "Intellektuellen" in Politik und Medien vertreten fühlen. Wir, die wir Irrsinn auch als das bezeichnen, was er ist.
Wir brauchen die Lagerfeuer, an denen wir uns niederlassen können, und wir brauchen die Leuchttürme an denen wir uns orientieren können.
Dass unsere Ideen und Gedanken, dass unsere Rationalität jemals im sich immer höher schraubenden Malstrom der medialen Selbstbefriedigung sogenannter "Intellektueller" ankommt, können wir vergessen. Dazu ist ihr gesamter Daseinszweck viel zu sehr mit der Erreichung vermeintlich "höherer Ziele" verbunden und von der profanen Ratio entkoppelt.
Wem kann man eher glauben und vertrauen? Dem Fachmann, dem Praktiker, dem, der selbst im Wettbewerb steht, oder den Labertaschen, die nur dem "Wettbewerb der (ideologischen) Ideen" frönen? Wir brauchen eine Gegenöffentlichkeit, und mag sie noch so klein sein. Und niemand anders als wir selbst können, und müssen eine solche schaffen und erhalten!
Man könnte verzweifeln angesichts der Tatsache, dass das System immer mehr Laberakademiker und Möchtergern-Weltgestalter hervorbringt, die mit einem staatlichen Jodeldiplom ausgestattet sich nun auch zu Wort melden, und an die Fleischtöpfe des subventionierten oder meinungsbildenden Intelektuellenzirkus heran wollen. Aber es gibt Hoffnung.
Die eine Hoffnung ist die, dass der zu verteilende Kuchen nicht beliebig vergrößerbar ist, und somit der Einstieg ins arrivierte Meinungskartell finanziell zunehmend unattraktiv für intelligente junge Menschen wird.
Die andere Hoffnung gründet sich aufs Internet.
Bisher ist die Masse der Medienkonsumenten vor allem auf die veröffentlichte Meinung angewiesen und sieht im Netz wohl meist zuerst den praktischen und den privaten Kommunikationsaspekt. Die jetzt nachwachsende Generation wird viel eher mal über einen Link zu einem dieser freiheitsliebenden Lagerfeuer stolpern, und vielleicht auch ihren eigenen Leuchtturm finden können.
Meine Hoffnung ruht also auf den jungen Facebookern und Forentouristen. Die sind nicht mehr so Multi-Kulti-selig wie die saturierten Altvorderen. Sie werden auch zunehmend nicht goutieren, wenn ihnen ihre Freiheit von den satten und dekadenten Eliten für ein vermeintlich höheres Ziel beschnitten wird.
Kann sein, dass ich mich da irre. Dass ich mir zu viele Hoffnungen mache. Aber aufgeben gibts nicht! Vielleicht kann jeder bloggende Fackelträger des Freiheitsgedankens nur eine bestimmte Zeit durchhalten. Vielleicht liegt die Zeitspanne die man maximal "mit Nachbrenner" unterwegs sein kann bei fünf bis sechs Jahren. Ich weiß das (noch) nicht.
(Der politische) Zettel hat fast fünf Jahre durchgehalten.
Aber eines weiß ich. Die richtungsweisenden Leuchttürme, die Fackelträger, die unverwechselbaren Persönlichkeiten, die die politische Blogosphäre mit ihrem Gesicht prägten - sie werden nicht vergessen werden.
Danke Zettel!
So, jetzt kann ich weitermachen.